ZEIT MAGAZINE
Mitten in der Krise macht sich in
Athen die nächste Generation auf, ihre Stadt neu zu erfinden.
Von Johannes Dudziak und Andreas Wellnitz
Von Johannes Dudziak und Andreas Wellnitz
Wenn in den vergangenen Monaten von Athen die Rede war, ging es
immer um die griechische Krise. Aber es gibt in dieser Stadt noch etwas
anderes als schlechte Nachrichten.
Nicht zufällig erinnert Athen an Berlin,
eine Stadt, die ebenfalls große Umbrüche hinter sich hat. In den Jahren
nach dem Mauerfall genoss man dort große Freiräume, die junge Leute aus
der ganzen Welt nutzten. Athen bietet ein ähnliches Bild – auch hier
findet man mitten in der Stadt neben Hochhäusern etliche Brachflächen,
in denen man Symbole einer möglichen Erneuerung sehen kann.
Wir wollten wissen: Wer sind die Kreativen und
Abenteuerlustigen, die versuchen, in den Zeiten des Umbruchs neue Wege
zu gehen? Deshalb sind wir in die griechische Hauptstadt gereist und
haben junge Athener getroffen, die gerade dabei sind, ihre Stadt neu zu
erfinden.
Wie zum Beispiel den Maler Panos Papadopoulos. Er hatte die
Idee, leer stehende Hotels und Galerien von Künstlern bespielen zu
lassen. Zusammen mit seinem österreichischen Kollegen Stefan Bidner hat
er Ausstellungen von renommierten Künstlern wie Albert Mayer, Elisabeth
Penker und Helmut Mark organisiert. Andere taten es Papadopoulos gleich,
und mittlerweile erlebt Athen einen kleinen Kunstboom. 2017 wird die
14. Documenta nicht nur an ihrem traditionellen Austragungsort Kassel, sondern auch in Athen stattfinden.
In anderen Bereichen gibt es ebenfalls viele neue Ideen. Der
Koch Kleomenis Zournatzis will die griechische Küche modernisieren, die
Produktdesigner Thanos Karampatsos und Christina Kotsilelou spielen mit
griechischen Traditionen. Der Architekt Zachos Varfis errichtet einen
Skatepark für die Kinder aus seiner Nachbarschaft, außerdem einen
Stadtgarten und ein Teehaus – alles auf einem verwahrlosten Anwesen im
Herzen von Athen. So wird aus der Krise eine Chance.
Die für den 20. September angesetzten Neuwahlen
beschäftigen die Athener, mit denen wir gesprochen haben, eher wenig.
Die junge Generation scheint nicht mehr viele Hoffnungen in die Politik
zu setzen. Das heißt nicht, dass unsere Protagonisten keine Zuversicht
verspürten, doch speist sie sich eher aus dem Vertrauen in Nachbarn,
Kollegen und Bekannte. In all jene, die sich, wie sie selbst, nicht
aufgegeben haben.
Anzeige
PANOS PAPADOPOULOS, 39, Maler und Mitbegründer des Künstlerforums DaDa Da Academy

"Ich habe eine Zeit lang in Wien gelebt, aber bei meinen
Besuchen in Athen spürte ich eine gereizte Energie in der Stadt, die
mich zurück in die alte Heimat trieb. Ich finde, in so einer Stimmung
ist es notwendig, dass Kunst stattfindet. Seit ich zurückgekehrt bin,
habe ich auch als Kurator gearbeitet und über 50 Künstler aus Europa und
den USA nach Athen eingeladen, um hier mit ihnen einen der vielen
unbewirtschafteten Räume in der Innenstadt zu nutzen. Fast alle sind
gekommen!"
NICHOLAS GEORGIOU, 45, Berater in der Modeindustrie und
Stylist, und Vassilis Karidis, 40, Fotograf, haben das Modemagazin
"Dapper Dan" gegründet

"Mitten in der Krise haben wir uns überlegt, der düsteren
Stimmung etwas Positives entgegenzusetzen. Also haben wir ›Dapper Dan‹
ins Leben gerufen: das erste griechische 0M3agazin für Mode und
Philosophie, das ganz in englischer Sprache veröffentlicht wird.
Mittlerweile vertreiben wir es in 25 Ländern und haben ein Netzwerk
aufgebaut, das es uns ermöglicht, außerhalb Griechenlands vielen
Projekten nachzugehen."
THANOS KARAMPATSOS, 42, und CHRISTINA KOTSILELOU, 36, Produktdesigner und Gründer von Greece is for Lovers

"Vor zehn Jahren haben wir beschlossen, eine Firma für
Produktdesign zu gründen. Unsere Inspiration sind griechische Bräuche
und Klischees. Ein Beispiel: ›Kamaki‹ heißt auf Griechisch Haken,
beschreibt aber auch Fischer, die Touristinnen verführen. Deshalb haben
wir ein Martiniglas mit einem Haken gestaltet. Wir haben kein Vertrauen
in die griechische Regierung, aber wir glauben an Athen. Hier kann man
das historische Verständnis für Ästhetik an vielen Orten sehen – auch
wenn man den guten Geschmack manchmal erst ein wenig suchen muss."
LAURA WILMOTTE-KOUFOPANDELIS, 26, Expertin für griechische Kunst beim Auktionshaus Piasa in Paris

"Seit zehn Jahren bin ich nur noch ab und zu in Athen, doch
ich verspüre kein Heimweh. Wir Griechen sind ein Volk der Reisenden –
eine Haltung, die ein großes Thema in der hellenischen Kunst ist. Viele
griechische Künstler leben über die ganze Welt verstreut und sind gut
integriert in fremde Künstlerkreise, ohne ihre griechische Identität
verloren zu haben. Einmal im Monat komme ich nach Athen, um die Herkunft
bestimmter Kunstwerke zu erforschen. Auf den vergangenen Reisen fiel
mir eine Sache auf: Die Kunst scheint hier immer mehr zu florieren."
DIMITRIS PAPADOPOULOS, 32, Mitbesitzer des Concept Store Number 3

"In den vergangenen sechs Jahren mussten viele Modeboutiquen
in Athen schließen. Unser Geschäft hat dieser Entwicklung getrotzt und
ist stets gewachsen. Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Wir haben
viel ausprobiert. Online-Werbung zum Beispiel. Die Hälfte unseres
Umsatzes kommt mittlerweile aus dem Online-Geschäft. Und wir verkaufen
Avantgarde-Mode wie Comme des Garçons oder Raf Simons. Das macht in
Athen sonst keiner. Große Verkaufsveranstaltungen sind nicht unsere
Sache – wir versuchen, unsere Stammkunden zu pflegen."
THODORIS DIMITROPOULOS, 37, und SPIROS PLIATSIKAS, 36, DJ-Duo Amateurboyz

"Früher waren wir ein Paar. Wir liebten die gleiche Art von
Dance-Musik wie Proto-House, Disco und No-Wave und haben im Jahr 2004
eher zufällig auf Privatpartys mit dem Auflegen angefangen. Die Gäste
mochten unseren Stil, deshalb begannen wir bald darauf, Club-Nächte in
Athen zu organisieren. Wir haben uns mondäne, aber längst vergessene
Veranstaltungsorte gesucht, von denen es in der Stadt so viele gibt, und
internationale DJs eingeladen. Das hat uns bekannt gemacht. In den
vergangenen Jahren haben wir häufig in anderen europäischen Städten
aufgelegt."
EVANGELIA KOUTSOVOULOU, 35, Gründerin des Gewürzhandels Daphnis and Chloe

"Ich habe in Italien studiert und als Journalistin
gearbeitet. Immer wenn ich in Griechenland war, brachte ich von dort
Kräuter mit zurück. Meine italienischen Freunde liebten die Gewürze von
den griechischen Inseln. Sie baten mich, ihnen welche zu besorgen. Ich
dachte mir, wenn selbst Italiener die Kräuter toll finden, werden es
Menschen in anderen Ländern erst recht tun. Ich recherchierte und fand
heraus, dass niemand griechische Kräuter von hoher Qualität exportierte.
Also zog ich zurück nach Athen und baute meine Firma auf."
DIMITRIS, 36, und KONSTANTINOS KARAMPATAKIS, 33, Gründer des Architekturbüros k-studio

"Unser Traum ist, dass Athen sich wie Berlin entwickelt –
eine Stadt, die sich neu erfunden hat und ihre kulturelle Vielfalt
zeigt. Athen hat die Geschichte und das Potenzial dafür. Vor zwölf
Jahren eröffneten wir unser Büro, heute haben wir 18 Angestellte. In
gewisser Hinsicht hat uns die Krise sogar geholfen: Unser motiviertes,
junges Team konnte leichter mit großen Büros konkurrieren, die mit hohen
Kosten zu kämpfen hatten. Aber die Krise hält schon zu lange an, und
unsere Bauherren haben in jüngster Zeit mehrere Projekte auf Eis
gelegt."
GENEVIEVE MAJARI, 40, Rektorin der Mode-Akademie Fashion Workshop

"Vor ein paar Wochen ging ich mit meiner kleinen Tochter in
einen Supermarkt. Dort sahen wir eine alte Frau, die zu weinen anfing.
Sie sagte, sie weine um meine Tochter, die in einer finsteren Welt
aufwachsen werde. So ein Drama! Bei Fashion Workshop begegnen wir der
Krise pragmatisch: Normalerweise bieten wir auch Sommerkurse im Juni und
Juli an. Doch diesmal bekamen wir viele besorgte Anrufe, die Eltern der
Studenten befürchteten, die Kurse nicht bezahlen zu können. Jetzt haben
wir den Unterricht erst mal auf September verschoben."
MARIAFLORA LEHEC, 35, Modedesignerin und Mitbegründerin des Labels SOMF

"Nach dem Modestudium am Central Saint Martins College in
London wollte ich mein eigenes Label gründen. Deshalb sind mein Mann und
ich zurück nach Athen gezogen. Meine Mode ist jugendlich und einfach zu
tragen, und sie ist mit schwarzem Humor entworfen. Trotz der schweren
Krise habe ich es nie bereut, wieder nach Athen gegangen zu sein. Denn
ich liebe die Stadt – die Leidenschaft und den Wahnsinn, die langen
Nächte, die immerwährende Party, die lauten Unterhaltungen und die
tiefen Freundschaften, die ich geschlossen habe. All das ist für mich
Heimat."
KLEOMENIS ZOURNATZIS, 39, Koch im Restaurant Cookoovaya

"Meine Eltern wollten, dass ich auf die Universität gehe,
also studierte ich Politikwissenschaften. Doch ich empfand das Studium
als zu abstrakt und zu weit entfernt von den wahren Problemen der
Menschen. Also hörte ich auf und wurde Koch. Im Cookoovaya bereiten wir
griechisches Essen auf moderne Weise zu. Uns ist wichtig, dass die
Zutaten aus der Gegend kommen. Wir möchten unsere Interpretation der
Küche unserer Großeltern international bekannt machen. Daher werden wir
bald unser erstes Restaurant außerhalb Griechenlands eröffnen."
ARISTOMENIS THEODOROPOULOS, 27, Maler und Musiker

"Wer kauft heute schon Kunst? Viele meiner Freunde sind aus
Griechenland weggezogen und haben auch mir dazu geraten. Aber ich möchte
die Stadt nicht verlassen. Deshalb arbeite ich momentan in dem
Bikerladen The Real Intellectuals und bemale Motorradhelme und
Motorradtanks, um meine Kunst und meine Musikprojekte zu finanzieren.
Ich male mehr als je zuvor, und nach einer schöpferischen Pause habe ich
eine neue Band gegründet, Father Breath – wir spielen einen wütenden,
aber zärtlichen Mix aus Elektro, Industrial und griechischer und
osteuropäischer Volksmusik."
ZACHOS VARFIS, 37, Architekt und Initiator des Designprojektes Latraac

"Gemeinsam mit Freunden habe ich im ethnisch vielfältigen
Viertel Kerameikos, das im historischen Stadtkern liegt, ein
verwahrlostes Anwesen gemietet und gestalte es um: mit einer
Skateboard-Rampe, die wir mithilfe digitaler 3-D-Technik geschaffen
haben, und mit einem Stadtgartenprojekt. Auf dem Grundstück stehen noch
Steinmauern, die Überreste eines Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert.
Innerhalb der Mauern bauen wir unsere Rampe. Wir möchten auch ein
Teehaus im Garten eröffnen, um unser Projekt zu finanzieren und
Workshops organisieren zu können."
IRENE KOSTAKI, 31, Reporterin bei der Nichtregierungsorganisation Vouliwatch

"Wir wollen dazu beitragen, dass politische Prozesse
transparent sind. Mein Arbeitstag beginnt meistens damit, dass ich
zuerst beim Büro des Premierministers vorbeischaue, um neue Geschichten
aufzuspüren. Danach fahre ich zum Parlament. In den vergangenen Monaten
gab es viele intensive Verhandlungen, da habe ich oft die Nächte
durchgearbeitet. Ich hoffe, dass Athen die Krise überlebt – und dass
sich bald etwas bessert. Es gibt einige historische Gebäude, die
dringend saniert werden müssten, die in der Krise aber vergessen werden
und verfallen."
ANTIGONE THEODOROU, 30, Performance-Künstlerin

"In den vergangenen zehn Jahren habe ich stets für wenig
oder kein Geld als Künstlerin gearbeitet und nebenbei gejobbt –
krankenversichert wurde ich von den Arbeitgebern schon gar nicht. Und
das, obwohl ich immerhin zwei Universitätsabschlüsse habe. Das Fundament
des Gebäudes, das wir Griechenland nennen, hat großen Schaden genommen.
Doch die Sonne wird weiterbrennen. Wir brauchen keine Heizung in
unseren Gebäuden. Der schöne Blick aufs Meer wird die Leere der hohlen,
zusammenfallenden Mauern füllen, wenn kein Feuer ausbricht oder der Müll
das Meer verdreckt."
Δεν υπάρχουν σχόλια :
Δημοσίευση σχολίου